Betriebsratswahlen für mehr Kooperation! Im Gespräch mit Sven Franke

Betriebsräte werden alle vier Jahre gewählt. Für die meisten ist es dieses Jahr wieder so weit: Zwischen Anfang März und Ende Mai können Arbeitnehmende ihre Stimme abgeben.

Sven Franke ist Experte im Bereich Mitbestimmung und Kooperation. Für ihn sind Betriebsräte eine effektive Möglichkeit genau diese Aspekte in Organisationen zu fördern. Er spricht darüber, wie es gelingen kann und erklärt, warum es sinnvoll ist sich von dem vorherrschenden Verhandlungsgedanken zu verabschieden.


Warum sollte man bei den anstehenden Betriebsratswahlen wählen gehen?

Weil es ein demokratischer Prozess ist. Wenn man auf Organisationen mit einem New Work-Blick schaut, kann man sie auch als demokratische Bühne verstehen. Von daher ist auch die Betriebsratswahl ein demokratischer Akt, schließlich wird hier die Interessensvertretung der Mitarbeitenden gewählt. Außerdem stärken die Zustimmung und eine hohe Wahlbeteiligung ein Gremium. Wie viel Rückendeckung hat das Gremium aus der Organisation? Wie viel Vertrauen wird ihm entgegengebracht? Es fühlt sich einfach anders an, ob ein Gremium sagen kann, hinter mir sitzen 20 Prozent oder 90 Prozent der Belegschaft. Das kann ein sicheres oder eben ein schwaches Auftreten erzeugen.

Welche Chancen siehst Du in den anstehenden Betriebsratswahlen und wie können Sie für einen Neuanfang genutzt werden?

Eine Wahl ist immer auch die Möglichkeit für einen Neuanfang. Andererseits haben viele Gremien schon die Herausforderung, immer wieder Nachwuchs zu gewinnen. Deshalb hier der Aufruf: Engagiert euch! Denn ein Betriebsrat ist ein gutes Mitbestimmungsinstrument, idealerweise ein Mitgestaltungsinstrument.

Was meinst Du mit "Mitgestaltungsinstrument"?

Was mir dabei wichtig ist: Kooperation. Für viele klingt das wie Co-Management, ein verbrannter Begriff für Gewerkschaften und Betriebsräte, weil er suggeriert, man verrate seine Wähler:innen. Aber ich glaube, darum geht es nicht. Fakt ist: Wir können nur gemeinschaftlich eine Organisation verändern. Durch Grabenkämpfe ist keine Organisation weitergekommen, zumindest nicht langfristig. Ziel sollte es sein, gemeinsam in die Gestaltung zu gehen und da ist so eine Wahl natürlich immer wieder eine neue Chance.

 

Ich empfehle jedem Betriebsrat einen Kick-off. Und zwar nicht nur intern, sondern auch gemeinsam mit dem:r Arbeitgebenden. Was können wir gemeinsam gestalten? Natürlich gibt das Betriebsverfassungsgesetz bereits einiges vor, aber dabei muss es nicht bleiben. Die letzte große Novellierung war schließlich in den 70er Jahren, da sah die Arbeitswelt noch ganz anders aus. Wie kann das Betriebsverfassunggesetz für unsere Organisation ausgelegt und vielleicht ausgedehnt werden?

Im Juni ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz verkündet worden. Was ändert sich dadurch in Bezug auf die Wahlen? Könnte es zum Beispiel sein, dass sich mehr Personen aufstellen lassen, unter anderem, weil es jetzt leichter ist digital mitzuwirken?

Diesem Gesetz lag die Herausforderung zu Grunde, dass Betriebsratsarbeit nach dem Betriebsverfassungsgesetz nicht mehr funktioniert hat. Da mussten Betriebsratsversammlungen live stattfinden, gewählt wurde ganz klassisch an der Wahlurne. Das war aber durch die Auswirkungen der Pandemie nicht möglich. Dieses Problem sollte im Modernisierungsgesetz angegangen werden.

 

Doch für mich ist das Betriebsrätemodernisierungsgesetz nach wie vor eine Notlösung, um überhaupt noch Betriebsratsarbeit aber auch -wahlen zu ermöglichen. Ob sich dadurch mehr Kandidat:innen aufstellen lassen, weiß ich nicht. Ich glaube, da muss man an anderer Stelle ansetzen. Besonders Gewerkschaften müssen sich hinterfragen: Warum sollte jemand aktiv im Betriebsrat mitarbeiten, der:die schon in seinem:ihrem normalen Arbeitsalltag einen vollen Schreibtisch hat?

Sollten Arbeitgebende da nicht auch Verantwortung übernehmen?

Ja auf jeden Fall, das sage ich allen Kund:innen: Egal, ob wir von Betriebsräten, von Arbeitgebenden oder beiden gleichzeitig beauftragt wurden. Das ist vielen Arbeitgebenden nicht bewusst: Auch sie müssen für die Sichtbarkeit des Betriebsrats sorgen. Und den Betriebsrat an der einen oder anderen Ecke auch mal gut dastehen lassen. Natürlich nicht unberechtigt, gar keine Frage. Aber ich glaube, gerade wenn wir in Kooperation gehen, gibt es viele Impulse aus dem Betriebsrat heraus, die man dann gerne aufnehmen und auch transparent machen kann, dass sie vom Betriebsrat gekommen sind.

Vor welchen Herausforderungen steht Betriebsratsarbeit aktuell noch?

Das Betriebsverfassungsgesetz geht gedanklich davon aus, dass ich die Betriebsvereinbarung verhandle, die dann beidseitig unterschrieben und damit eine Rechtssicherheit gewährleistet wird. Im Anschluss landet diese in der Schublade. Das Ganze geht aber von einer Planbarkeit und Klarheit der Zukunft aus. Was wir allerdings in unserer Arbeit merken, ist, dass es gar nicht so klar ist, wie es in drei Monaten sein wird. Was verändert sich? Wie reagiert die Organisation auf eine Veränderung, die angestoßen wurde? Das wissen wir nicht. Und gleichzeitig will ich in dieser Unsicherheit eine Rechtssicherheit erzeugen. Wie kann das gut gehen?

Das ist auch der Grund dafür, warum Du Deinen Kund:innen zu lebenden Betriebs-vereinbarungen rätst? Was kann man sich darunter vorstellen?

Eine lebende Betriebsvereinbarung bringt auf der einen Seite den Vorteil, dass ich eine unterschriebene Betriebsvereinbarung, die Rechtssicherheit gewährt, vorliegen habe. Auf der anderen Seite ist die Anerkennung da, dass wir die Zukunft nicht kennen. Eine lebende Betriebsvereinbarung ist jetzt final, sie kann morgen schon wieder verändert werden, ohne dass sie komplett gekündigt werden muss. Oft geht es ja nur um einen Paragraphen, der nicht mehr passt. Soll man dann das ganze Dokument noch mal aufmachen? Nein, es reicht doch nur über diesen einen Punkt zu verhandeln. Ziel ist es Flexibilität in die Betriebsvereinbarungen zu bekommen. Und das verlangt Vertrauen, was für viele eine große Herausforderung darstellt. Oft wird Vertrauen dann das erste Mal wirklich diskutiert.

 

Eine lebende Betriebsvereinbarung heißt auch, dass jede:r jederzeit einen Aspekt nochmal auf den Tisch bringen darf, ohne, dass die Rechtssicherheit verletzt wird. Man kann auch Rhythmen vereinbaren. Gerade in der Anfangsphase oder bei großen Transformationsprozessen raten wir das unseren Kund:innen. Aber auch bei Vergütungsthemen, wenn zum Beispiel kein Tarifvertrag vorliegt oder auch außertariflich vergütet wird, ergibt eine lebende Betriebsvereinbarung Sinn.

Du betonst immer, dass Du parteiisch für Kooperation bist. Was bedeutet das konkret?

Warum ich das so sage: Je nachdem, wer uns beauftragt, dementsprechend wird man sofort in einen Topf geworfen. Und in diesem Topf will ich nicht landen. Ich will mir das Recht rausnehmen, meinen Blick auch mit meinem:r vermeintlichen Auftraggebenden zu teilen, selbst wenn das nicht förderlich für den Auftrag ist. Nur so kann ich an der Schnittstelle gut arbeiten.

Und was heißt das für Dich übertragen auf die Arbeit eines Betriebsrats?

Im Fall eines Betriebsrates, glaube ich nicht, dass er parteiisch für Kooperation sein muss. Schließlich hat er ganz klare Interessen zu vertreten. Aber er muss, genau wie die Arbeitgebenden, bereit sein zur Kooperation. Das heißt auch aktiv sein: Nicht dasitzen und Nein sagen, sondern mit einem Gegenvorschlag kommen und offen für Diskussionen sein.

 

Konkret heißt das für uns das Thema Verhandlung zu streichen und mit Workshops zu starten. Allein schon vom Wording. Das macht schon etwas, weil dann der Druck wegfällt, ein Ergebnis erzielen zu müssen. Denn zuerst muss man das Thema und die Position des Gegenübers verstehen. Und die Ergebnisse, wenn man erst Workshops gemacht hat und dann in eine Verhandlung geht, sind gigantisch besser. Das muss man einfach sagen. Es gibt weniger Streit, weil viel mehr Klarheit im Prozess erzeugt wird. So ist die Chance, ein Ergebnis zu erzielen, bei dem niemand das Gesicht verliert und Verständnis für die anderen herrscht, viel höher.


Interview: Anna Bennecke ist Mitgestalterin bei CO:X. Sie will vielfältige Perspektiven sichtbar und Mut zur Veränderung machen. Dabei ist es ihr Anliegen, mit der Community neue Wege zu entdecken, Intersektionalität, Feminismus und die neue Arbeitswelt holistisch zu betrachten und zu gestalten.



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